Jede Sekunde zählt
Auch wenn Deutschland rettungsdienstlich sehr gut aufgestellt ist, braucht der Rettungswagen im bundesweiten Schnitt knapp neun Minuten – in ländlichen Gebieten, bei hohem Einsatzaufkommen oder Stau kann die Anfahrt sogar noch deutlich länger dauern. Das Problem: Bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand wird das Gehirn nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt, bereits nach drei bis fünf Minuten fangen Gehirnzellen an irreparabel abzusterben, nach zehn Minuten ohne Reanimation ist ein Mensch klinisch tot. Daher ist Zeit der entscheidende Faktor. Ein aktueller Beitrag der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) und dem Südwestrundfunk (SWR) beleuchtet die Qualität der Notfallrettung in Deutschland und zeigt auf, dass die Überlebenschancen bei einem Herzstillstand stark von der regionalen Versorgung abhängen.
In diesem Rahmen wurden die Daten von knapp 300 Rettungsdienstbereichen analysiert. Diese Ergebnisse ermöglichen Aussagen bis auf Landkreis-Ebene zur Qualität der Notfallrettung sowie den Überlebenschancen bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand und legen erstmals flächendeckend strukturelle Missstände offen. Die Untersuchung ergibt: Ein Schwachpunkt sind die Rettungsleitstellen, die einen Herz-Kreislauf-Stillstand schnell erkennen müssen, den Rettungsdienst und Ersthelfende alarmieren und die Laien vor Ort telefonisch bei der Reanimation anleiten müssen – dazu braucht es hohe anerkannte Standards. Doch nur etwa die Hälfte der Rettungsdienstbereiche verfügt über eine Leitstelle mit Qualitätsmanagementsystem zur Optimierung von.
Sinnvolle Ergänzung der Rettungskette
Hier setzt seit mittlerweile zehn Jahren die Smartphone-basierte Ersthelfer-Alarmierung (SbEA) an. Die Mobilen Retter wurden im Jahr 2013 von Prof. Dr. Dr. Ralf Stroop erfunden, nachdem dieser einen Notfall in seiner Nachbarschaft erst nach Eintreffen des Rettungsdienstes bemerkte, bei dem er aber durch seine örtliche Nähe sehr viel früher hätte helfen können, wenn er nur vom Notfall Kenntnis gehabt hätte. Die SbEA wurde daraufhin in Kooperation mit der Kreisverwaltung Gütersloh, den örtlichen Hilfsorganisationen sowie Kliniken, Ärzteschaft und Feuerwehren etabliert.
Mithilfe der SbEA werden medizinisch qualifizierte Ersthelfende wie z.B. Angehörige von Hilfsorganisationen, Feuerwehrleute und Pflegekräfte nach Wahl des Notrufs 112 durch die Leitstelle über die GPS-Komponente ihrer Smartphones geortet und parallel zum Rettungsdienst alarmiert. Durch die örtliche Nähe können Mobile Retter oft schneller als der Rettungsdienst am Notfallort sein und bis zu dessen Eintreffen bereits qualifizierte lebensrettende Maßnahmen einleiten. Es handelt sich dabei um eine Ergänzung der Rettungskette, die keine Änderung an der bisherigen etablierten Struktur des Rettungsdienstes bedeutet. Es geht vielmehr darum, das therapiefreie Intervall zu verkürzen und somit die Überlebenswahrscheinlichkeit und-qualität der Betroffenen signifikant zu erhöhen. Mobile Retter haben seit dem Start des Systems in vielen Regionen Deutschlands schon hunderte Menschenleben gerettet.
Mehr als eine App: Unterstützung für Gebietskörperschaften
Die SbEA funktioniert nur durch das dauerhafte Engagement der Ehrenamtlichen. Daher sind deren Motivation und Betreuung der entscheidende Schlüsselfaktor für den nachhaltigen Erfolg von Ersthelfersystemen. Hier setzt das Leistungsangebot des Mobile Retter e.V. an. Der gemeinnützige Verein ist Umsetzungspartner der Gebietskörperschaften und unterstützt mit über zehn Jahren Erfahrung und tiefgreifender Expertise bedarfsgerecht bei der strukturierten Implementierung und dem nachhaltigen Regelbetreib der SbEA sowie beim aktiven Ehrenamtsmanagement der Ersthelfenden (Rekrutierung, Schutz und Betreuung, Motivation und Bindung sowie Reaktivierung). Die Unterstützung erfolgt auf Basis von definierten Qualitätskriterien und Standards sowie einem regionalen Organisationsidealmodell für eine nachhaltige Projekteinführung. Gebietskörperschaften erhalten praxiserprobte und etablierte Lösungen, um sämtliche Aufgaben der SbEA sowohl ressourcenschonend als auch qualitätsgesichert umsetzen zu können. Der Mobile Retter e.V. ist kein Anbieter eines technischen Alarmierungssystems, sondern als markenunabhängiger und technologieanbieterneutraler Umsetzungspartner anschlussfähig an alle gängigen Technologieanbieter.
Aktuell unterstützt der Mobile Retter e.V. bereits 41 Kreise und Städte in sieben Bundesländern (Stand: Juli 2024). Zahlreiche weitere Regionen befinden sich in der Implementierungsphase oder in Vorbereitung für eine Einführung. Die mittlerweile über 21.000 aktiven Mobilen Retter haben bereits über 36.000 Einsätze mit einer durchschnittlichen Eintreffzeit von 3:53 Minuten absolviert.
Gemeinsame Vision
Obwohl mit einer flächendeckenden Verbreitung von Ersthelfersystemen jedes Jahr tausende Leben gerettet werden könnten, müssen Städte und Kreise diese immer noch eigenständig einführen und finanzieren. Als neutrale Instanz und Pionier der SbEA in Deutschland forciert der Verein daher gemeinsam mit weiteren Stakeholdern bundesweit einheitliche Standards und das Ziel, die SbEA passend zu verankern und nachhaltig zu finanzieren. Dazu hat der Verein in enger Zusammenarbeit mit der Bundesarbeitsgemeinschaft Erste Hilfe (BAGEH) im Oktober 2023 erstmals einen Runden Tisch durchgeführt. Eingeladen wurden relevante Stakeholder aus den Bereichen aktives Ehrenamtsmanagement, Hilfsorganisationen, Technologie, Politik sowie Wissenschaft. Neben dem persönlichen Austausch zu bisherigen Entwicklungen, Herausforderungen und fehlenden Rahmenbedingungen war das Ziel der Veranstaltung, eine einheitliche Stimme zu Standards, Verankerung und Finanzierung zu finden. Damit wurde der Grundstein für eine gemeinsame Position und langfristige Zusammenarbeit gelegt. Schließlich eint alle das Ziel, Menschenleben retten zu wollen.
Autor: Stefan Prasse, Geschäftsführung Mobile Retter e.V.